Byakuren – Hauptstadt des Weißen Lotus
1. Lage und Charakter
Byakuren (白蓮) liegt im Westen des Tōyō no Teikoku, dort, wo die Strömungen des Kasegawa in das stille Binnenmeer von Harukami münden. Zwischen flachen Hügeln, Nebelstreifen und Teichanlagen erhebt sich die Stadt in weiten, konzentrischen Ebenen.
Im Gegensatz zu den meisten früheren Herrschaftszentren des Ostens blickt Byakuren nicht zur aufgehenden, sondern zur untergehenden Sonne. Sie steht für Sammlung, Nachhall und Kontinuität – der Ort, an dem der Tag des Reiches endet, um am nächsten Morgen wieder zu beginnen.
Die Stadt ist geprägt von breiten Wasserwegen, steinernen Brücken und stillen Gärten. Der Lotus, der ihr den Namen gibt, wächst in nahezu allen Teichen und Wasserbecken. Seine Blüte gilt als Sinnbild der kaiserlichen Ordnung: rein, ruhig, unbeirrt über dem Schlamm.
2. Frühzeit
Die Gegend war schon in der Aosai-Zeit (3.–5. Jh.) besiedelt. Der Ort hieß ursprünglich Kase-no-sato – „Dorf am Fluss“. Händler und Pilger kreuzten hier auf dem Weg zu den westlichen Heiligtümern. Im 8. Jahrhundert entstand der Schrein Byakuren-jinja, dem die Stadt später ihren Namen verdankt.
Im Laufe der Kyūsei-Dynastie (10.–12. Jh.) entwickelte sich Byakuren zu einem Zentrum religiöser Schulen und einer Verwaltungsstadt für die westlichen Provinzen. Die Nähe zu Erzvorkommen und Holzhandelsrouten machte sie wohlhabend und zugleich spirituell bedeutsam.
3. Der Wechsel der Hauptstadt
Der Hof residierte ursprünglich in Akitsukane, einer östlichen Metropole nahe der Küste. Nach einer Serie von Bränden, Erdbeben und politischen Aufständen in der Mitte des 17. Jahrhunderts sah der damalige Rat der Linien in diesen Ereignissen ein Zeichen göttlicher Erschöpfung: Der Osten habe sich geleert, das Gleichgewicht verlange einen neuen Mittelpunkt.
Im Jahr 1654 verkündete Kaiserin Himetsu-no-Amane den sogenannten „Dekret des Westwinds“ (Seifū-no-Senmei). Darin hieß es, der Palast solle „dorthin verlegt werden, wo der Lotus blüht, wenn der Tag vergeht“.
Innerhalb von zwölf Jahren wurde die neue Residenz errichtet, und Byakuren erhielt den Titel „Kyō“ – Hauptstadt des Reiches. Der Hof zog 1666 feierlich ein. Seither blieb Byakuren ununterbrochen Sitz des Thrones.
4. Der Palast des Weißen Lotus
Der Palastbezirk Byakuren-no-Miya (白蓮の宮) erhebt sich auf einer künstlichen Terrasse über der Altstadt. Er besteht aus fünf konzentrischen Höfen, die die Fünf Linien (Goritsu) des Reiches darstellen.
Im Zentrum liegt die Halle des Phönix (鳳堂殿 Hōdō-den), in der sich Thron, Schrein und die Stille Kammer (Shizuka no Ma) befinden. Die Anlage wurde im Stil des „Schwebenden Gleichgewichts“ errichtet – keine massiven Mauern, sondern Wände aus gefaltetem Stein und Holz, verbunden durch stilles Wasser.
Der Palast ist nicht offen für Besucher. Nur zu bestimmten Festtagen sieht man aus der Ferne das Aufsteigen des Räuchernebels und den Schatten der kaiserlichen Prozession über den Brücken der inneren Teiche.
5. Stadtstruktur
Byakuren gliedert sich in drei Kreise:
- Naikyū (Innerer Ring): Hofbezirk, Palast, Schreine, Ministerien, Archive und die Schulen der Stille. Zutritt nur für Akkreditierte.
- Chūkyō (Mittlerer Ring): Residenzen, Akademien, Gerichte, Gärten und große Verwaltungsbauten aus hellem Stein.
- Gekyō (Äußerer Ring): Märkte, Werkstätten, Häfen, das große Verwaltungsarsenal und die Werften am Westufer.
Anstelle von Stadtmauern begrenzen Kanäle und Lotusteiche die Bezirke. Das Wasser dient zugleich als Verkehrsweg und rituelle Linie – keine Brücke wurde je ohne Zeremonie eröffnet.
6. Neuzeit und Gegenwart
Im 20. Jahrhundert blieb Byakuren weitgehend unzerstört. Während anderer Staaten Kriege führten, bewahrte die Stadt ihre Stille. Nach 1945 erlebte sie eine Phase geordneter Industrialisierung, die die alten Bezirke kaum berührte. Der Hof blieb ununterbrochen hier ansässig.
Die Reformen von 2020, der sogenannte Einschnitt (Setsudan) unter Kaiserin Amateru Himeka, betrafen nicht den Ort des Thrones, sondern seine innere Linie. Viele Behörden wurden aufgelöst oder neu besetzt, doch Byakuren blieb das Herz der Ordnung – verschlossener, stiller, präziser denn je.
Heute leben in der Metropolregion rund 10 Millionen Menschen. Trotz dieser Größe bleibt die Stadt von einer eigentümlichen Ruhe: keine Leuchtreklamen, kaum Verkehrslärm, gedämpftes Licht bei Nacht.
Die Bewohner nennen ihre Stadt schlicht Ren (蓮) – der Lotus.
Wer ankommt, sagt nicht: „Ich bin in Byakuren“,
sondern:
„Ich bin dort, wo das Reich atmet.“